Rock’n Roll Solo

Reiseerfahren bin ich ja durchaus, selbst im Rollstuhl bin ich anfällig für‘s Fernweh, gegen das keine Pille, sondern nur der Aufbruch hilft. Ich kenne Züge, ich kenne Flugzeuge, ich hab mich durch Neuschwanstein tragen lassen, kenne Berge von oben und Täler von unten. Ich kenne die Teutonen-Grills an der Adria und Irland von der schrill bemalten Hippie-Schleuder aus. Im eigenen Auto bin ich ohnehin leidenschaftlich gern, viel und hin und wieder auch mit einem Bein im Kriminal unterwegs.

 

Was aber auf meiner Ab-durch-die-Mitte-Agenda bislang noch abzuhaken war: der Solo-Trip im Rolli. Eine Reise in völliges Neuland also. Wobei ich zum Einstieg, zugegeben, eine eher g’mahte Wies’n zum Zwecke der Feldforschung beackere. Sprich Hotel, barrierefrei und eine Stadt, die ich kenne. Fad eigentlich, aber egal.

Freitag nach der Arbeit geht’s los, ich bin glänzend polierter Laune und singe mir entlang einer meiner Playlists einen Wolf. Es ist herrlich. Mit orange-rosa Abendhimmel im Rückspiegel bin ich bald dort, wo ich hin will. Wie die Leute das früher ohne Navi geschafft haben, entzieht sich meinem Verstand zur Gänze, aber das ist hier nicht das Thema.

Ich fahre forsch vor dem Hotel meiner Wahl vor und stelle mich zielstrebig ins absolute Parkverbot. Das schert mich herzlich wenig und ich frage den Erstbesten, der nach Personal aussieht, ob er mir das Auto bitte legal verörtert. Der macht das gern und umgehend und bringt auch mein Köfferchen ins einzige barrierefreie Zimmer. Das fängt ja schon mal gut an. Das Zimmer ist ein bisschen barock, aber sonst recht nett und nachdem ich alles inspiziert habe, folge ich dem Ruf der Natur.

Was dann kommt, hatte ich definitiv nicht auf dem Radar und es ist der Todesstoß für die Beziehung zwischen diesem Badezimmer und mir. Da kann sie noch so gülden glänzen, die Nasszelle. Das nicht rollstuhltaugliche WC mit seiner viel zu tiefen Anbringung der Keramik fackelt nicht lang und wirft mich umgehend ab. Ich knalle unsanft auf die Fliesen und sitze erstmal völlig verdattert und ungraziös zu Füßen vom Topf und weiß nicht, wie mir eben geschah. Ich weiß nur: ich bin enorm empört. Da hoppelt frau tagtäglich mehrmals zwischen WC und Rollstuhl hin und her und kaum ist mal keine Rettung in der Nähe: Absturz?! Ja, bist du gelähmt.

Mit den nutzlosen Beinen in einem seltsamen Knoten um den Rest gewickelt, schaue ich mich nach Rettungsbojen um. Stelle dabei aber leider fest, dass es in diesem Bad – warum auch immer – keine Notruf-Reißleine gibt und das Handy, das ich achtlos aufs Bett geworfen habe, könnte genauso gut am Mond liegen. Bis ich mich dorthin gerobbt habe, hat mein Jüngster maturiert. Außerdem: wen soll ich schon anrufen? Was also tun? Nach Hilfe schreien ist keine Option. Ich will ja nicht, dass mir am Ende völlig unbeteiligte Zimmernachbarn die Hose über den Hintern ziehen und mich im Zementsack-Stil zurück in den Rollstuhl zerren. Das wäre ja noch schöner! Da verende ich lieber in diesem mörderischen Bad und hauche meinen geplagten Geist aus.

Weil ich aber nur aufgrund eines geprellten Egos nicht mit meinem baldigen Exitus rechne, rattern die Zahnräder in meinem Hirn fieberhaft, um dann bei der rettenden Idee knirschend zum Stillstand zu kommen: ich hab ja mein Badezimmer-Stockerl mit! Die Erleichterung über diese meine Geistesgegenwärtigkeit beim heimatlichen Kofferpacken verschafft mir ungeahnte Motivation und Kräfte. So werde ich rasch meines Stockerls habhaft und starte meine erste richtige Bewährungsprobe. Vom Boden aufs Stockerl kommt meine (vermutlich) hämatomisch-schillernde Kehrseite gleich beim zweiten Versuch und ich wage zaghaft den Auftakt Richtung Triumphgeheul. Bis ich jedoch in der rettenden Zuflucht meines Rollstuhles sitze, rinnt noch viel Wasser in Richtung Schwarzmeer. Am Ende jedoch schaffe ich es. Das Gefühl ist grandios und ich bin völlig verschwitzt.

Zum Glück weiß ich in diesem Moment noch nicht, dass auch die Dusche eine Todesfalle darstellt, aber das erschließt sich mir bereits kurz darauf. Mir schwant Übles, als ich den Duschsitz direkt unter der Regenwald-Dusche montiert sehe. Ich weiß, was passiert, wenn man in dieser Position das Wasser aufdreht. Und ich habe natürlich recht. Eiskalter Vorschuss prasselt auf mich nieder und meine gefühllosen Beine, die jedoch äußerst temperaturempfindlich sind, zucken sofort aus. Sie schlagen aus wie ein übermütiges Fohlen und ich verkeile und kralle mich in alles Griffige, dessen ich habhaft werden kann. Schließlich gelingt es mir, wieder halbwegs sicher zu sitzen und ich traue mich wieder zu atmen. Das Herz rast.

Danach nehme ich die Handbrause und versuche das mittlerweile fast kochend heiße Wasser in ebendiese umzuleiten. Das funktioniert auch, allerdings muss ich den Knopf hierfür permanent gedrückt halten! Ansonsten kommt alles Gute wieder von oben. Mittlerweile ist mir zum Schreien. Was, zum Henker, soll das?! Wie soll ich mich bitte kärchern, wenn ich rechts die Handbrause halte und links den Handbrauseknopf gedrückt halten muss?! Und ich muss natürlich auch immer die unwillkürlich kickenden Fohlenbeine im Auge behalten, die Gefahr des jederzeitigen Absturzes hängt dräuend über mir. Als ich es endlich schaffe, mir mit Hilfe des Ellenbogens halbwegs Stabilität zu verleihen, und erfolgreich verhindere, vom seifigen Sitz wieder einen spektakulären Abflug zu machen, bin ich zwar mörderisch grantig, aber immerhin frei von Reisestaub.

Der Transfer zurück in mein Rolli-Nest klappt auch, ungraziös zwar, aber ich hab ja zum Glück kein Publikum. Zum krönenden Abschluss stelle ich fest, dass ich das ganze Bad unter Wasser gesetzt habe und auch der Teppichboden vor dem Bad hat einen veritablen Wasserschaden. DAS ist mir nach der Tortur aber wirklich sowas von powidl.

Nach einer fast langweiligen Nacht ohne Gefahr an Leib und Leben, sitze ich morgens zum ersten Mal alleine und gerädert im Frühstücksraum eines Beherbergungsbetriebes. Das ist für mich eine gänzlich neue Erfahrung. Der dienstbeflissene Kellner liefert aber gleich tagesaktuelle, druckwarme Printmedien und lässt mir ansonsten meine Ruhe. Was ich ihm im Stillen danke.

Danach beschließe ich, mit der Bim in diesen wunderschönen Frühlingstag zu starten. Das klappt wunderbar, die Bim-Chefin richtet die Rampe, ich rein, Tür zu und „Zug fährt ab“. Alle happy. Mein Besuch in einem Haus der Kunst ist ebenfalls äußerst lohnend und inspirierend und das Fässchen Chai Latte im sonnigen Hipster-Gastgarten mundet auch vorzüglich, selbst ohne Tischgesellschaft. Schön langsam macht die Einsamkeit Spaß. Ich beobachte noch amüsiert meine Gastgarten-Kollegen, von denen sich viele durch diese furchterregenden Bobo-Bärte, Man Buns und weiß der Geier welche üppig sprießenden Haarwuchstrends es sonst noch gibt, auszeichnen und bin dankbar für meine kurzen Haare.

Als ich mich danach auf einem zentralen Platz zum Sonne anbeten, Leute schauen und anderweitiger Kontemplation einbremse, werde ich innerhalb weniger Minuten dreimal nett gefragt, ob ich menschlicher Hilfe bedürfe, was ich freundlich, aber bestimmt verneine. Ich sitz ja nur da und tu niemanden was. Aber anscheinend ströme ich Mitleiderregendes aus. Einer der Fragenden pflaumt mich nach meiner Abfuhr an „Ich hab ja nur g’fragt!“, der Rest lässt mich ungeholfen sitzen und zieht trotzdem zufrieden von dannen.

Der Weg zurück ins Hotel wird dann wieder lustig. Diesmal erwische ich nämlich den Ungustl unter allen diensthabenden Bim-Schaffnern. Er verweigert mir nämlich doch glatt die Rampe und mit einem saloppen „Sie wiegen ja eh nix“ wird er plötzlich übergriffig und greift mir – trotz Protests! – ungefragt in die Reifen und hievt mich in den Tramwagen. Du lieber Schwan. Greift der gehenden Damen auch einfach so ans Gebein?! Drinnen kaum eingeparkt, sinne ich auf Rache und teile einer ebenso empörten Mitreisenden mit: „Na warte. Beim Aussteigen ist er dran!“ Und das ist er dann auch.

Ich klingle an meiner Station um Assistenz und kaum will der Gute mich wieder händisch über die locker 40 cm hohe Stufe zwischen Tram und Trottoir werfen, sage ich „Finger weg! DA ist eine Rampe und VORNE haben Sie den Schlüssel dafür. Das geht auch ganz leicht, versprochen. Einmal Schlüssel, einmal aufklappen und fertich.“ Mein freundlichstes aller Lächeln macht den Kerl noch zwiderer und er murmelt dumpfe Flüche in meine Richtung. Das perlt aber an mir ab und ich schaue ihm genüsslich bei der Befehlsausführung zu. Mit einem „Schaun’S, wie leicht das geht!“ rolle ich siegestrunken aus der Bim und meiner Wege.

Abends schaffe ich es noch einmal seil- und steigeisenfrei durch die Todeszone Bad, bette mich bestens gelaunt zur Ruhe und bilanziere meinen ersten Ich-kann-selber!-Trip als durchschlagenden Erfolg und die Zahl meiner blauen Flecken als überdurchschnittlich. Das Frühstücks-Solo am Abreisetag verpenne ich fulminant.

Wer bis hierher lesend durchgehalten hat: Das alles ist genauso passiert. Schwöre.

In der nächsten Folge: Campen in der Wildnis. Ohne Rolliklo und ohne Dusche.