In meinem letzten Reisebericht habe ich es ja schon angekündigt: das nächste Mal Camping in der Wildnis, solo selbstverständlich, ohne Rolli-Klo und ohne Dusche. Nun, das hab ich natürlich gemacht. Der Anlass war gegeben: mein Unfall hat sich zum dritten Mal gejährt und zum ersten Mal war ich am „Jahrestag“ und danach allein. Also hab ich mir mein Auto kurzentschlossen in einen Camper umbauen lassen. Mit den besten Kollegen im Allgemeinen und einem wirklich äußerst engagierten Kollegen im Speziellen ist die Karre von Donnerstag auf Freitag zum Wohn-Mobil mutiert und am Samstag ging‘s los. Ab in den Sand am Grado-Strand.
Der erste Hansimglück in dieser Geschichte heißt Johann und ist der große Blonde in der Maierhofer Med-Tec. Echt was drauf hat der Mann. Da kann kommen, wer will, Hans checkt alles. Also braucht auch nur die lahme Kollegin in ihrer Zweitfunktion als Kundin angerollt kommen mit einem schmierig umlächelten „Duuu, darf ich dich was fragen?“ und schon ist die Frage beantwortet und der Wunsch erfüllt. Unglaublich. Dieser Hans jedenfalls ist dafür verantwortlich, dass die Kinder und ich uns heuer auf einen Sommer voller Abenteuer freuen dürfen. Er hat nämlich von einem Tag auf den anderen aus zwei Schaumstoffstücken eine maßgeschneiderte und sogar dekubital prophylaktische Matratze für meinen Auto-Fond geschneidert und darauf liegt es sich wie Wolke Sieben. Ein Zelt noch mit und die Familie ist dann mal weg. Also: Lieber Hansi, egal wie sehr ich dich auch in Zukunft noch anzipfen werde, mit diesem saucoolen Zack-Zack-Matratzen-Manöver hast du auf ewig was gut bei mir. Soviele M&Ms gibt’s auf der ganzen Welt nicht, wie ich bräuchte, um dich zum Dank fett zu füttern.
Und nun weiter im Text. Freitag nach der Arbeit noch aus rein fotografischem Zweck probegelegen mit dem Kollegen Waldher, der sich gern auf das eine oder andere Bild fotobombt, bin ich samstags endlich allein on the road Richtung Süden. Herrlichstes April-Wetter mit Sonnenschein, Platzregen und Sturm, der mich und mein Badgirl-Mobil fast in den türkisen Tagliamento föhnt. Umspielt von den perfekten Songs meiner viel strapazierten Auto-Playlist schau ich auf schneebedeckte Gipfel, von denen ich auf dem einen oder anderen schon gestanden bin. Im anderen Leben. Ich schau auf satte Grün-Schattierungen im Tal, die mit dem zeitweise blitzblauen, von reinweißen Haufenwolken verzierten Himmel das Wort „pittoresk“ neu definieren. Die Welt ist so schön!, denke ich mir und frage mich, ob es denn tatsächlich Menschen gibt, die das nicht sehen und aufsaugen während sie durch dieses Bild von Landschaft fahren.
Ein paar Ich-muss-staunen-Pausen und eine Ich-muss-mal-Pause später fahre ich schon fast gegen die Tore von Venezia, weil ich mich wieder einmal auf alles konzentriere, nur nicht auf die Hinweistafeln entlang der Straße. Typisch. Also „Bitte wenden! Bitte wenden! Bitte wenden!“ und mit folgsam-sturem Blick aufs Navi lande ich zu guter Letzt in einem Gott sei Dank verwaisten Privatgarten (!), in dem ich ein letztes Mal wende, um dann endlich die Strada del Sole nach Grado zu finden. Und dann bin ich am Meer! Finalmente.
Leider bin ich nicht die einzige, die an diesem Wochenende die Meer-Idee hatte. Grado ist wegen Überfüllung quasi geschlossen bzw. komplett verstopft. Mit Müh und Not und unter hemmungslosem Gefluche finde ich dann aber doch noch einen Parkplatz. Rolli-Parkplätze sind mir zurzeit leider nicht gestattet, weil ich vor geraumer Zeit blöderweise meinen Parkausweis vor lauter lustig aus dem Autofenster flattern hab lassen. Aber das ist eine andere, unrühmliche Geschichte. Im Anschluss an das Parkdrama gibt es für mich nur noch eine Windrichtung: Meer. Dem befestigten Weg sei Dank gelange ich über Sand bis zum Baywatch-Häuschen samt italienischem Mitch Buchannon, nur ohne die stolz geschwellte, haarige Brust. Dort muss ich jedoch leider feststellen: Ans Wasser, etwa 20 Meter entfernt, gelange ich solo in zehn Jahren nicht. Das kann ich knicken. Das stimmt mich irgendwie traurig, aber nicht lange, denn ich fahre einfach retour zur Bar und lasse mir trotz der zig „Self Service!!!“-Schilder einen Nachmittagslatte an den Tisch liefern. Der Bar-Chef winkt der servierfreudigen Bar-Dame glatt ab und sagt, in diesem Fall bedient er natürlich persönlich. Das bläst mir die Wangen rot und jede Traurigkeit weg. Der zweite Hansimglück in der Geschichte bin jetzt ich.
Gegen späteren Nachmittag wird es unangenehm kalt und ich flüchte an einen anderen Strandabschnitt östlich von Grado. Dort versinke ich für ein Stündchen in mich selbst und blicke auf Schloss Miramare, Triest, das künstliche Portopiccolo, Slowenien, Kroatien und den hässlichen Hafen von Monfalcone. Die Idee, hierher zu fahren, gehört schon jetzt zu einer meiner besseren, denke ich und bereite mich derart beschwingt geistig schon auf die Nacht vor. Zu diesem Zwecke hüpfe ich noch einmal ins Auto und fahre direkt in den Sonnenuntergang, ehe ich mich zur Nacht auf meinem auserkorenen Parkplatz einfinde. Das „Vietato il campeggio“ auf den Schildern verstehe ich ausnahmesweise nicht oder ich tu eben so. Wer soll mir denn noch groß Prügel zwischen die Beine werfen? Eben.
Das einzige, was ich mir selbst jetzt noch verbiete, ist, nochmal aus dem Auto auszusteigen, um dann hinten wieder einzusteigen. Das muss doch auch so gehen. Also klemme ich mich Kopf voran zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, bleibe hüftig erstmal stecken, schaffe es hochkant aber dann doch noch auf die Matratze. Yessss! Nun ist nur noch das letzte Mal Pinkeln am heutigen Tag ein Thema. Und zwar ein größeres. Nebenan ist nämlich eine Bar und ohne Eintrittseinkünfte brauch ich bei Gott kein Publikum für mein urinales Bedürfnis. Zudem erleuchtet sich das Auto wie ein Operationssaal, sobald ich den Klodeckel (Heckklappe) öffne und das geht gar nicht mit der ganzen Dunkelheit rundherum. Jedenfalls schaffe ich auch das, wenn auch mit Methoden, die ich ausnahmsweise einmal nicht mit euch teile. Nur soviel: wenn auch kein Auge trocken bleibt bei der witzig-surrealen Aktion, Auto & Matratze bleiben es und darauf bin ich echt stolz.
Die kommende Nacht wird vor allem eines: eiskalt. Ich hab zwar eine Bettdecke mit und keine Zwiebel der Welt ist so vielschichtig wie meine Hightech-Adjustierung, aber ich friere trotzdem wie ein Schneider. In der Früh spüre ich meine Nasenspitze nicht und würde ich meine Füße spüren, ich würde sie nicht mehr spüren. Sie haben nämlich unfreiwillig deckenlos im Freien übernachtet und ich hab mir dadurch mit Sicherheit mindestens eine Art von Tod geholt*. Als ich jedoch wieder den langen Weg nach vorn auf den Fahrersitz nehme, diesmal Haxen voran, ist mir schon wieder heiß und ich kann mir die Standheizung sparen, noch ehe ich sie einschalte. Geschafft! Ich hab allein im Auto gecampt, ohne Klo und Dusche, dafür mit „Vietato il campeggio“ und Pinkel-Abenteuer. Und ich lebe noch, frei von Strafzetteln sogar, mit allem noch dran und gar nicht so schlimm müffelnd. Quod erat demonstrandum, was zu beweisen war. Ich fahre mit bester Laune in den Tag und wieder ans Meer, kaufe Mitbringsel für die Kinder und ein fettes Fresspaket für den Matratzen-Hansimglück als Dankeschön, ehe ich mich am früheren Nachmittag endgültig vom Schlechtwetter vertreiben lasse.
Die Fahrt nach Hause ist zwar nicht so bildschön wie die Hinfahrt, dafür bleibe ich konzentriert und schaffe die Strecke in 2:05h anstatt von 4:00h+. Wahrscheinlich kommen die Strafzettel ja doch noch, in zwei Monaten oder so. An der Grenze schneit es wie Frau Holle. Das ist genau wie vor drei Jahren. Am Tag, als ich zerbrochen bin, war’s schön. Einen Tag später lagen dort viele cm Schnee. Das allerdings ist, an einem Wochenende wie diesem, Schnee von gestern. Aber wie.
* Stand zwei Wochen später: keine Art von Tod weit und breit.