Heutzutage haben viele Menschen im Speckgürtel der westlichen Welt eine sogenannte „Bucket List“. Eine Liste von Dingen, die man u.n.b.e.d.i.n.g.t. noch machen muss vor der Löffelabgabe. Zur Begriffserklärung: „To kick the bucket“= ins Gras beißen. Wenn man nämlich schon alles hat, dann braucht man eben die ultimativen Wünsche, deren Umsetzung das Leben dann – hoffentlich – zu einem gelungenen macht. Außerdem braucht man ja spektakuläre Fotos für Instagram, Facebook und wie sie alle heißen. Sonst ist das alles (und man selbst?) ja nichts wert.
Ich nehme mich da nicht aus. Für mich hat das mit der Bucket List allerdings erst an Bedeutung gewonnen, als mir für vieles der endgültige Riegel vorgeschoben wurde. Für jemanden wie mich, der sich eine Querschnittlähmung aber nicht einfach so gefallen lässt, ist es nämlich allein schon aus Motivationsgründen von enormer Bedeutung, Wünsche zu haben, auf die man hinarbeiten kann. Der große Schock über das „Oh Gott, das kann ich ja alles nicht mehr machen!“ ist zwar schon längst überwunden, aber natürlich piesackt mich dieser Gedanke in verschiedensten Situationen immer wieder.
Zum Beispiel im Urlaub am Italien-Strand. Ich wäre so gerne den Kindern hinterher ins Wasser gerannt und hätte mir so gern heiße Sohlen im noch heißeren Sand geholt. Stattdessen wurde ich von einem lieben Freund mehrmals täglich auf Händen ins Meer getragen. Was ja prinzipiell nichts Schlechtes ist, weil Freund echt groß und muskulös, das muss frau schon anerkennen und genießen dürfen. Trotzdem. Mindestens zwei Zementsack‘ln schwer bin ich ja doch und wenn der Freund dann schnauft und scherzhaft (?) irgendwas von wegen „Anfoch werfen wär g‘scheiter“ in den Dreitagebart murmelt, kann ich ihm ja auch nicht empört in die Schulter zwicken, sondern muss dankbar bleiben. Sonst wirft mich der ja tatsächlich – und einen sandgegrillten Popo brauch ich nicht, der hat so schon genug erlitten. Nichts desto trotz: selber rennen wär mir natürlich bedeutend lieber, Muskeln hin oder her.
Oder unlängst im Gebirge. Ich hab mich mit der Hilfe meines Bruders zwar bis unter die Felsen hochgekämpft, weiter hinauf komme ich aber natürlich nur mit den Augen. Einmal noch in den Felsen herumklettern, ein feinschottriges Kar hinuntersurfen, mit klimpernden Karabinern am G’schirr’l in die Hütte scheppern… alles Wünsche, Träume, die solche bleiben werden. Genauso wie der Sprung in einen See oder von einer 12m hohen Klippe ins Meer. Letzteres hab ich aber schon in „Geh-Zeiten“ gemacht, danach hat mein Derrière azuren geschillert und mein Brustbein war, bedingt durch die leichte Schieflage im Flug, gebrochen. Ich konnte viele schmerzhafte Tage lang nicht sitzen und Niesen und Lachen hat mir die Tränen waagerecht aus den Augen getrieben. Ein weiterer Klippensprung wird mir also nicht wirklich fehlen. Sprünge in Seen, von weniger hoch oben, hingegen schon.
Vieles geht also nicht mehr, weil ich nicht mehr gehen kann. Alles nur wegen zwei k.o. gegangener Haxen. Damit kann ich aber mittlerweile recht gut leben, denn ich kann ja trotzdem noch an den Strand und ins Meer, in Seen und ins Gebirge. So schnell lasse ich mich schließlich nicht aufhalten.
Dennoch habe ich mir meine ganz persönliche Bucket List gezimmert und mit Dingen befüllt, die zwar definitiv nicht über das Gelingen oder Nichtgelingen meines Lebens entscheiden, die mir und meinem Herz aber sehr wichtig sind, und von denen ich glaube, dass sie mein ganzes, bereits vorhandenes Glück noch erweitern bzw. unglückliche Aspekte lindern.
Und einen dieser Wünsche konnte ich unlängst abhaken bzw. ist es mir vergönnt, diesen für viele weitere Wiederholungen in mein Leben zu integrieren. Meiner lieben Arbeitskollegin Sarah sei Dank bin ich an einen Verein für therapeutisches Reiten geraten, „Horsense“ in Ledenitzen. Und auch wenn ich laut der wunderbaren, einfühlsamen Reitlehrerin Denise eigentlich keine Therapie brauche, sondern wenn, dann Training, ist das wieder auf dem Pferd Sitzen Balsam für meine Seele. Das Pferd, „Joey“, strahlt eine Ruhe aus, die sich sofort auf mich überträgt und in weiterer Folge auch auf meine schwer spastischen Beine. Angst kommt gar nicht erst auf und die Beine benehmen sich auch noch lange danach, sind butterweich und artig.
Es ist auch kein seltsames Gefühl, mit gefühllosen unteren zwei Dritteln auf dem schaukelnden Pferd zu sitzen. Die Bewegung ist vertraut und „dank“ der Nervenschmerzen, die mich 24/7 begleiten und manchmal auch quälen, weiß ich auch, wo ich anfange und aufhöre. Der Rest obliegt der Vorstellungskraft und die funktioniert prächtig.
Auch weitere Punkte auf meiner Bucket List haben mit Tieren zu tun. Sobald es mir vergönnt ist, die Erfüllung dieser nächsten Punkte anzugehen, melde ich mich selbstverständlich wieder. Bis dahin genieße ich das schaukelnde Sofa Joey und arbeite weiter daran, den Felsen, Seen und Meeren näher zu kommen, als ich es mir vor drei Jahren je vorgestellt hätte. Irgendwie wird schon „gehen“.